Menschlichkeit und Leistung sind keine Gegensätze. Menschlichkeit steht der Leistung auch nicht im Weg. Ganz im Gegenteil: Wollen wir leistungsstarke Teams und Führungskräfte, ist Menschlichkeit die Grundvoraussetzung.

Ein veraltetes Paradigma verliert seine Gültigkeit

Menschlichkeit können wir uns dann leisten, wenn es der Firma gut geht und die Workload gut zu schaffen ist. Wenn wir aber den Gürtel enger schnallen müssen oder richtig rangeklotzt werden muss, darf Menschlichkeit schon mal ein bisschen hinten angestellt werden.
Dann schauen wir vielleicht nicht so genau hin, ob jemand eh schon überlastet ist. Das schaffen die dann schon. Müssen sie sich eben durchbeißen. Ist ja für alle kein Zuckerschlecken im Moment.

Menschlichkeit galt lange als etwas, was man sich leisten können muss. Und als etwas, auf das man zur Not auch mal verzichten kann, wenn wichtige Aufgaben anstehen. Auf die Bedürfnisse und die Gesundheit der Kolleg*innen zu achten, wurde teilweise sogar als störend empfunden. Schließlich muss man ja irgendwie zum Ziel kommen.

Leistung auf Kosten der Menschlichkeit

Etliche Jahre habe ich Trainings für einen sehr großen deutschen Konzern gegeben. Ein Trainerkollege hat beim gemeinsamen Mittagessen in der Konzern-Kantine folgende Sätze losgelassen, die mich immer noch beschäftigen:

„Schau dich mal um. Ich hab hier noch nie einen dummen Menschen gesehen. Aber auch noch nie einen glücklichen.“

Das war zwar überspitzt dargestellt, aber Grundtenor stimmte leider. Die Führungskräfte haben uns während der Trainings erzählt, dass ein dreistelliges Überstundenkonto ganz normal wäre. Krank zur Arbeit zu kommen, ist auch Standard. Schließlich steht ja ne krasse Deadline an. Zwei oder drei Kollegen kannte jeder, die schon ein- oder auch gerne mehrmals im Burnout gelandet sind.
Auf die Frage, warum sie sich das alles antun, fiel oft die Phrase „Schmerzensgeld am Monatsende“. Ein Projektmanager hat’s mal drastisch ausgedrückt: „Die scheißen uns hier einfach mit Geld zu, damit sich keiner beschwert.“

Das Leistung vs. Menschlichkeit-System stößt jetzt an seine Grenzen

Genug Schmerzensgeld scheint bisher ausreichend gewesen zu sein, um Überarbeitung und Burnout auszublenden und zu funktionieren.

Allerdings gerät dieses System langsam ins Wanken.

Beschleunigt durch Corona kündigen viele Menschen ihren Job. Vielen ist aufgefallen, dass ihnen die Sinnhaftigkeit in ihrem Tun fehlt.

Warum soll ich mir denn den Hintern für die Firma aufreißen, wenn ich merke, dass ich und meine Gesundheit der Firma herzlich egal sind?

Geld als einziger Motivator reicht einfach nicht mehr. Eine Münchner Top-Anwaltskanzlei hat ihr Einstiegsgehalt für frisch gebackene Jurist*innen von 115.000 auf 145.000 angehoben. Und findet trotzdem kaum jemanden mehr, der wie ein Leibeigener 7 Tage die Woche für sie arbeiten möchte.

Aus meiner Sicht ist das kein Phänomen der Generation Y oder Z. Ich mag dieses Schubladen-Denken in Generationen sowieso überhaupt nicht. Ich glaube eher, dass ein neues Zeitalter anbricht. Egal ob frisch von der Uni oder alte Häsin: Viele Menschen haben keine Lust mehr, nur zu funktionieren, weil man ja Geld dafür bekommt. Und das ist auch richtig so.

Bedrohung oder Chance?

Das Gejammer aus dem Recruiting ist laut: „Wir finden einfach keine guten Leute mehr.“ Vielleicht liegt’s ja dran, dass ihr jahrelang eure Leute nicht gut behandelt habt. Und es liegt sicher daran, dass der Arbeitsmarkt und die Arbeitsbedingungen transparenter geworden sind. Die Menschen am Arbeitsmarkt wissen, wer eine gute Arbeitgeberin ist. Und vor allem wer nicht.

Auf der anderen Seite gibt es Firmen, bei denen die Bewerber*innen Schlange stehen. Nicht weil sie dort mehr Geld verdienen. Sondern weil sie als gute Arbeitgeber*innen gelten, bei denen es menschlich zugeht. Bei denen ein gemeinsames Ziel verfolgt wird. Und wo ich als Mensch gesehen werde.

Überraschung: Menschen wollen gesehen werden. Das nennt sich Wertschätzung. Crazy shit. Könnt ihr mal ausprobieren.

Menschlichkeit steht Leistung nicht im Weg. Sie ist ihre Grundlage.

„Wir wollen hier was bewegen. Da können wir nicht auf alle Befindlichkeiten von jedem Mitarbeiter achten.“
Und genau hier zeigt sich der dicke, fette Denkfehler: Menschlichkeit und Wertschätzung werden als Bremsen auf dem Weg zum Erfolg gesehen.

Dabei übernimmt Menschlichkeit eine ganz andere Rolle: Sie wird zur Grundlage und zum Nährboden für Leistung.

Menschen lassen sich mittelfristig nicht durch Gehalt und ein paar Bonus-Zahlung motivieren. Entweder sie sind es oder sie sind es nicht. Mehr zum Thema Motivation findest du in unserem StärkenReport Nr.1, den du kostenfrei herunterladen kannst.

Wenn ich mich gesehen fühle und wenn ich weiß, dass ich einen wertvollen Beitrag zum großen Ganzen beitrage, dann empfinde ich meine Arbeit als sinnvoll. Und dann nehme ich auch gerne mal zwei, drei Überstunden in Kauf. Solange ich weiß, dass mein Einsatz gewürdigt wird und meine Führungskraft ein Auge drauf hat, dass wir nicht ausbrennen.

Fazit

Menschlichkeit und Wertschätzung sind keine Nice-To-Haves. Und sie sind auch keine Bremse für euren Unternehmenserfolg. Sie sind die Grundlage dafür, dass Menschen bei euch arbeiten wollen. Und sich auch gerne einbringen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.

Ich weiß, ich wiederhole mich, aber es ist wichtig:

Menschen wollen nicht Mitarbeiter*in Nr. 34678 sein.

Sie wollen gesehen werden.